Der Tumor verursacht Kopfschmerzen, Sehstörungen und Harndrang. Doch wird er entfernt, gerät bei den Kraniopharyngenom-Patienten der Hormonhaushalt vollends aus den Fugen.
VON NICOLE KOHSE KASSEL/WÜRZBURG
Namen wegen Anonymität der Personen geändert
Der Kopf pochte. Schmerzte unerträglich, wochenlang. Dirk nahm alle
möglichen Tabletten, tröpfelte ätherische Öle. Nichts half. Mehrere Ärzte
untersuchten ihn - ohne Befund. In ihrer Not schickten sie den 16jährigen
zu einen Psychiater. Erst ein Augenarzt erschrak über seinen enorm erhöhten
Augendruck. Am folgenden Tag wurde Dirk ein Tumor aus dem Gehirn herausgeschnitten.
Der heute 26jährige leidet am Kraniopharyngenom, einer Krankheit, bei
der sich aus fehlgebildetem embryonalem Gewebe hinter den Augen ein gutartiger
Gehirntumor entwickelt. Seine Odyssee durch Arztpraxen ist typisch, denn
die Krankheit ist selten. In Deutschland wird sie jährlich bei 30 bis 40
Patienten diagnostiziert, die Hälfte sind Kinder und Jugendliche. Doch bereits
jeder zehnte Tumor im Kopf eines Kindes ist ein Kraniopharyngenom. Der Tumor
ist kein Krebs, sondern eine gutartige Geschwulst, die langsam, zunächst
unbemerkt wächst.
Die Betroffenen wie Dirk leiden an extremen Kopfschmerzen, können sich schwer konzentrieren, sind müde, ungeduldig oder aggressiv. Auch drückt die Geschwulst auf den Sehnerv. Da kann es sein, dass die Betroffenen eine Person doppelt sehen, oder sie erst erkennen, wenn er in der Mitte ihres Gesichtsfeldes steht. Wird nicht rechtzeitig operiert, erblinden viele. Ein weiteres Symptom: extremer Harndrang. Ich hing Tag und Nacht unterm Wasserhahn und konnte gar nicht aufhören zu trinken, berichtet Dirk . Ständig musste er auf die Toilette. Zwölf Liter Flüssigkeitsverlust in ein paar Stunden waren keine Seltenheit das entspricht zwölf Kilogramm Körpergewicht. Mein Körper trocknete aus, mein Kreislauf brach völlig zusammen.
Wenn Kopfschmerz, Sehstörungen und extremer Harndrang gemeinsam auftreten, deutet alles auf ein Kranipharyngenom hin, sagt Dr. Hermann Müller, Oberarzt an der Universitäts-Kinderklinik Würzburg, die sich auf die Behandlung der Kraniopharyngenom-Patienten spezialisiert hat. Mit ihm hat Dirk vor zwei Jahren eine deutschlandweite Selbsthilfegruppe Betroffener gegründet, die sich vergangene Woche in Kassel traf.
30 Kilo zugenommen obwohl der Tumor meist operabel ist, beginnt damit für
die Betroffenen erst das Leid. Denn die Geschwulst liegt immer im Bereich
der Hirnanhangdrüse, die mit dem Tumorgewebe herausgeschnitten werden muss.
Sie aber steuert den gesamten Hormonhaushalt des Körpers und der gerät nach
der Operation vollends aus den Fugen. Lebensnotwendige Funktionen sind betroffen:
die Wasserausscheidung der Niere, die Schilddrüse, die Nebenniere, das Wachstum
und die Geschlechtsdrüsen. Unter den Folgen leiden die Patienten ein Leben
lang.
Dirk nahm innerhalb einiger Wochen 30 Kilogramm zu. Das ist typisch.
Auch bei ihm ist das Esszentrum betroffen. Er merkte einfach nicht, wenn
er satt war. Heute schluckt er täglich Tabletten, nimmt Sprays und braucht
Spritzen, die seinen Hormonhaushalt künstlich regulieren. Das Übergewicht
ist er seither nicht mehr los geworden. Wie auch. Wenn ich mich mehr als
normal bewege, ein Kilo zu- oder abnehme, stimmt der ganze Medikamentencocktail
nicht mehr. Dann geht es ihm schlecht, ist er matt und müde.
Seine Familie hat die Ernährung strikt auf ihn abgestimmt. Der Tumor hat viele Spuren hinterlassen. An manchen Tagen ist Dirk fahrig und kann sich kaum konzentrieren. An anderen wird er agressiv, ohne es zu wollen. Dann kapselt er sich ab. Ich habe die Symptome, sagt er, doch alle in der Familie leiden an der Krankheit.
Informationen: PD Dr. med. Hermann Müller, Städtische Kliniken
Oldenburg gGmbH,
mueller.hermann @ kliniken-oldenburg.de, http://www.kraniopharyngenom.com
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